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Im Mai 2019 entschieden wir uns nach längerem Hin und Her, trotz der anstehenden Hurrikansaison noch über den Atlantik zu segeln. Dank täglichem Wettermonitoring und einem sehr südlich gelegenen Kurs über den Ozean war das Risiko für uns berechenbar. Da wir ausserhalb der empfohlenen Jahreszeit überquerten, mussten wir mit schwierigen Bedingungen auf dem Atlantik rechnen. Die Überfahrt verlief schlussendlich jedoch verhältnismässig ruhig und ohne Zwischenfälle.

Ursprünglich peilten wir als erstes Ziel in der Karibik die Insel Grenada an, weil dieses Land unterhalb der Region liegt, in welcher das Hurrikanrisiko zwischen Juni und November am grössten ist. Bereits vor der Abreise von den Kanaren wurde uns bewusst, dass die generelle Gefahr durch Hurrikans in der Karibik von der europäischen Seglergemeinschaft hochgekocht wird. Einige wirklich Karibikerfahrene Segler bestätigten unsere rationale Risikoeinschätzung, dass man sich in der Karibik in bestimmten Regionen ohne Problem auch während der Hurrikansaison bewegen kann, solange man täglich die aktuelle Wetterlage auf dem Atlantik beobachtet. Das Segelgebiet der südlichen kleinen Antillen ist geografisch gesehen so klein, dass man sich im Normalfall in kürzester Zeit aus der Gefahrenzone bewegen kann.

So beschlossen wir gegen Ende der Atlantiküberquerung, anstelle von Grenada das uns unbekannte Barbados anzulaufen. Weil die Insel von allen karibischen Inseln am weitesten östlich im Atlantik liegt, wäre es wegen Wind und Strömung schwierig gewesen, das Land später nochmals anzulaufen. Und ausserdem fanden wir, dass wir die zwei bis drei Monate, die wir bis zur Sturm-Hochsaison noch hatten, doch besser nutzen, um bereits eine kleine Ecke der Karibik zu sehen. Beim entscheidenden Wegpunkt passten wir unseren Kurs also an.

Barbados gehört zum britischen Commonwealth of Nations und ist seit 1966 unabhängig von England. Die offizielle Amtssprache ist Englisch. Während der Zeit der Sklaverei entstand das Inseltypische kreolische „Bajan“, das für uns Ausländer leider nicht verständlich ist. Im Gegensatz zur weiter westlich liegenden Antillenkette, deren Inseln hauptsächlich vulkanischen Ursprungs sind, ist Barbados ein vor ca. 125’000 Jahren entstandenes Kalksteinplateau – also eigentlich altes Korallengestein. Vom 17. bis ins 20. Jahrhundert hinein florierte der Zuckerrohranbau. Als die Zuckerpreise zu fallen begannen, wurden der Tourismus und internationale Finanzdienstleistungen zu den stärksten Wirtschaftszweigen des Landes.

Am 2. Juni liefen wir in den Deep Water Harbour neben der Hauptstadt Bridgetown ein. Mehrere Stunden und viele Formulare später waren wir offiziell eingereist und warfen in der Carlisle Bay den Anker, gleich neben dem Schweizer Boot Laya (für mehr Details zur Ankunft siehe letzter Blogbeitrag). Unser gedanklich lange vorausgeplantes Festmahl an diesem ersten Abend nach 25 Tagen auf See (ein dickes Steak, frischer, grüner Blattsalat mit vielen gesunden Sachen drin, dazu Mojitos) beschränkte sich mangels geöffneten Restaurants auf Fried Chicken und Pommes im KFC. Aber auch dieses Essen schmeckte wunderbar, nachdem wir mehr als drei Wochen vor allem Büchsenfutter und Pasta gegessen hatten, und das meistens halb stehend oder unbequem sitzend verkeilt auf dem Boot.

Brownes Beach, Carlisle Bay
Drill Hall Beach
South Coast Boardwalk

Am Tag danach in der Karibik aufzuwachen, an Deck zu gehen und vor sich den weissen Strand mit dem kitschig-türkisblauen Wasser zu sehen, war atemberaubend! Wir waren so erschöpft und platt und einfach glücklich, es endlich über den Teich geschafft zu haben, dass wir länger als geplant auf Barbados hängen blieben. Aber auch die Insel selbst hatte das ihre dazu beigetragen. Da wir uns kurzfristig entschieden hatten, Barbados anzulaufen, waren wir entsprechend unterinformiert über die örtlichen Gegebenheiten. Sehr zum Leidwesen von Dominique hatte ich mich zu Beginn der Reise immer mit Revierführern eingedeckt und wollte alles Erdenkliche über ein Land bereits im Vorfeld wissen. Ich musste bald lernen, dass das nicht immer möglich ist und dass das Eintauchen in und Entdecken einer fremden Kultur eigentlich ohne viel Vorwissen viel spannender ist. Das Unbekannte gehört nun zu unserem Lifestyle wie die tägliche Wind- und Wetterkontrolle und es macht den Reiz unserer Weltreise unter Segeln erst richtig aus.

Neben der Schweizer SY Laya und einem britischen Boot lagen wir als einzige direkt vor Bridgetown vor Anker. Mit dem Dinghi konnten wir in zehn Minuten über die Careenage, eine Flussmündung, direkt in die Stadt hineinfahren und in einem kleinen Fischerhafen kostenlos unsere Wasserkanister auffüllen. In drei Minuten waren wir mit dem Dinghi am Strand, wobei ich feststellen musste, dass das richtige Anlanden direkt am Strand doch noch einiges an Übung bedarf. Ziemlich aufgedreht und voller Vorfreude dachte ich bei der ersten Anfahrt, so, jetzt ist es genügend seicht, ich springe rein und ziehe Dominique samt Bötchen mit Schwung an Land. Naja, ich hatte mich leicht verschätzt, weil das Wasser so unglaublich klar war. Es war noch so tief, dass ich komplett unterging, samt Kleidern. Dominique konnte sich vor Lachen kaum erholen, zum Glück hatte niemand zugeschaut (hoffe ich).

Fahrt mit dem Dinghi in die Stadt hinein
Der Fischerhafen von Bridgetown
Die Careenage
Unsere Aussicht vom Boot auf die Clubs am Strand

In den ersten Tagen beschäftigten wir uns vor allem damit, wieder in der Zivilisation anzukommen. Das Boot wieder „umbauen“ auf gemütliches Wohnen, Kleider waschen, Lebensmittel einkaufen, Wassertanks auffüllen, eine richtige Dusche geniessen etc. Dabei durften wir auf die bereits gesammelten Erfahrungen unserer Schweizer Bootsnachbarn zählen. Nach mehr als drei Wochen auf See waren die allgemeinen Ansprüche ziemlich gesunken, die erste „richtige“ Dusche genossen wir in einer öffentlichen Strandanlage, und es war eine wahre Freude! Dann entdeckten wir, dass wir als Trans Ocean-Mitglieder im Barbados Yacht Club gratis die Annehmlichkeiten einer sauberen sanitären Anlage, leckeres und günstiges Essen sowie eine wunderschöne Strandbar geniessen dürfen. Dazu gehörte auch die tägliche Happy Hour, während der man zum Beispiel zwei Rum Punches für den Preis von einem bekam, sehr gefährlich…

Arbeitsplatz im Yachtclub
Abendstimmung vor dem Yachtclub

Die Rückkehr in die urbane Zivilisation war im ersten Moment erschlagend. Bridgetown ist erstaunlich vielseitig und laut. Die Hauptstrasse mit Bürogebäuden steht im krassen Gegensatz zu den Einbahnsträsschen und Einkaufsgassen, in denen sich vor jedem Geschäft eine bunte Auslage an die andere reiht. Zwischen Kleidergeschäften, Schmuck- und Uhrenverkäufern bieten Bauern auf der Strasse und auf Märkten ihre Ernte an, auf dem Fischmarkt gibt es fangfrischen Fisch, und wenn man nicht aufpasst, wird man von einem der vielen gelben Überlandbussen überfahren. Ab und an findet man auch ein schönes, altes Gebäude aus der Kolonialzeit.

Wir stellten bald fest, dass Barbados der perfekte Einstiegsort für die Karibik ist, wenn man aus dem verwöhnten, sicheren Europa kommt. Der Insel geht es unter Anderem dank wohlhabenden Touristen aus England und Kreuzfahrtschiffen wirtschaftlich verhältnismässig gut, entsprechend sicher ist es, und vor allem sind die Menschen unglaublich offen und von Herzen hilfsbereit. Wir wurden durchs Band immer zuvorkommend behandelt, und häufig aus Eigeninitiative auf der Strasse gefragt, ob man uns helfen könne. Mehrmals kam es vor, dass jemand für uns zum Beispiel einen zehnminütigen Umweg in Kauf nahm, um uns zu unserem Zielort zu begleiten. So ergaben sich viele spannende Gespräche mit den Einheimischen und wir erfuhren einiges über Land und Leute. Das Interesse war meistens gegenseitig, viele wollten wissen, woher wir denn kommen und was wir tun. (Mancher skeptische Westeuropäer denkt jetzt vielleicht, uh, das hat sicher etwas gekostet – aber nein, diese Hilfe geschah aus reiner Freundlichkeit, Interesse am Fremden und ohne jegliche Hintergedanken.)

Einkaufen in der bunten Swan Street
Strassenverkäufer
Fischmarkt
Cheapside Street Market
Saint Mary's Church

Für einen möglichst authentischen Einblick in das Leben der Einheimischen bewegten wir uns mit den lokalen Bussen von A nach B. Es ist erstaunlich zu sehen, wie viele Leute in ein Fahrzeug mit offiziell zwölf Sitzplätzen passen! Da der Fahrer und der Kassierer an jedem Fahrgast mitverdienen, ist es in ihrem Interesse, pro Fahrt möglichst viele Passagiere zu transportieren. Auch wenn wir mehrmals dachten, dass jetzt das Limit sicher erreicht ist, passte noch jemand rein.

Wir fuhren entlang der Westküste bis nach Speightstown, ins Landesinnere zum letzten Stück verbliebenen Dschungel und an die Ostküste zu einem berühmten Surfhotspot. Die Westküste der Insel ist die Katalogseite der Insel, bestehend aus weissen, palmengesäumten Sandstränden, Hotelanlagen und riesigen Privatanwesen. Die zweitgrösste Stadt Speightstown liegt im Norden der Insel. Das verschlafene Nest wirkt teilweise etwas heruntergekommen, aber bietet einige schön gelegene Restaurants und Bars. Etwas abseits liegt der einzige richtige Yachthafen auf der Insel, der Luxushafen Port St. Charles. Wir wollten uns hier über die Möglichkeiten zum Ausklarieren (Ausreisen) und den Steuerfreien Einkauf von Diesel erkundigen. Zum Glück liess man uns trotz unserem Vagabunden-Auftreten rein, wir erhielten alle Infos (auch, dass wir uns hier nicht eine einzige Nacht am Steg würden leisten können) und wurden in der Hafenbar sehr freundlich bedient, obwohl wir nicht zum restlichen Klientel passten.

Busterminal in Bridgetown
Westküste, kurz vor Speightstown
Busfahren wie in einer Sardinenbüchse
Warten auf...
Strandrestaurant in Speightstown
In der Hauptstrasse von Speightstown
Küstenstrasse südlich von Speightstown

Zwischendurch mussten wir uns auch wieder einmal ein paar Bootsproblemchen widmen, doch alles in allem ging bei der Atlantiküberquerung eigentlich fast nichts zu Bruch. Die grösste Arbeit bereiteten uns die Entenmuscheln, die sich während der Überfahrt auf dem Rumpf angesiedelt hatten und prächtig gediehen. Theoretisch hätten sie im jetzt ca. 28 Grad warmen Wasser absterben müssen, aber stattdessen wucherten sie wild weiter. Damit sie uns auf der zukünftigen Reise nicht ausbremsen, machten wir uns mit Taucherbrille und Handschuhen daran, die kleinen Tiere zu beseitigen.

An unserem privaten Zoo am Schiffsrumpf paddelten ab und zu Schildkröten vorbei, und ein Stück weiter südlich lagen mehrere von Meerestieren bewohnte Schiffswracks direkt unter der Wasseroberfläche. Ein Sprung ins Wasser mit Taucherbrille und Flossen, und wir waren umgeben von bunten Fischen und kuriosem Korallengewächs. Die Idylle wurde nur durch die berüchtigten Partyboote gestört, die mindestens an den Wochenenden während Stunden gleich neben uns ihre Runden drehten, und den Clubs am Strand, in denen auch kräftig gefeiert wurde. So machten wir Bekanntschaft mit Soca Music, einer Mischung aus Calypso, Soul und Funk, die uns in den nächsten Monaten intensiv begleiten sollte. Über Musikgeschmack lässt sich ja streiten. Was uns jedoch in den Wahnsinn getrieben hatte, waren die DJs. Jeder Song wird alle zehn Sekunden unterbrochen, um das Partyvolk mit lautem Gekreische anzufeuern – nach dem Motto: Je falscher desto besser! Darauf angesprochen, lachte uns der Barkeeper des Yachtklubs nur aus und meinte, dass die Leute hier total darauf abfahren.

Im nächsten Blogbeitrag berichten wir über weitere interessante Erkenntnisse zu den Menschen auf Barbados, den Affen im letzten Stück erhaltenen Dschungel und wie sich der Klimawandel in Form von tonnenweise übel riechenden Algen auf der Insel bemerkbar macht.

Entenmuscheln beschlagnahmen unseren Schiffsrumpf
Entspannen auf dem Boot
Schiffswrack im Carlisle Bay Marine Park
In Oistins am Strand
SY Yemayá vor Bridgetown

Comments:

  • Edeltraud Beck

    14/06/2020

    Ich finde euren Reiseblog megaspannend und bewundere euren Mut!

    Viel Glück und wunderbare Erlebnisse 😃🔆
    Schöne Grüsse
    Edel

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  • Norbert und Rosmarie Nigg

    16/06/2020

    Ahoi Maja ahoi Dominique, der Blog von Eurer Segelreise um die Welt geniessen wir in vollen Zügen.
    Die Professionalität bewundern wir sehr.
    Bestellung: das erste von Euch geschriebene Buch mit persönlicher Widmung von Euch beiden,
    ausgeliefert bei einem guten Glas Wein
    Wünschen weiterhin Mast und Schotbruch und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel
    Liebe Grüsse Norbert und Rosmarie

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